Hauen, Kratzen, Beißen bei Kleinkindern
Mögliche Gründe für Hauen, Kratzen und Beißen
1. Entwicklungsbedingte und emotionale Ursachen
Kinder verstehen das, was wir sagen, viel früher, als sie sich selbst sprachlich ausdrücken können. Das bedeutet, schon lange bevor ein Kind verständliche Worte sprechen kann, hat es bereits viele Worte und Wortbedeutungen im Gehirn gespeichert. Kommt ein Kind also in eine Situation, die seine sprachlichen Fähigkeiten überfordert, greift es auf automatisch auf nonverbale Möglichkeiten zurück, um seine Wünsche und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Hauen, Beißen, Schubsen, Kneifen und Spucken sind solche Ausdrucksmöglichkeiten. Intensive Gefühle wie Wut, Hilflosigkeit, Frustration oder Überforderung können zudem auch bei Kindern, die schon gut sprechen zu Wortfindungsschwierigkeiten führen. Sie können in dem Moment dann einfach nicht mit Sprache sagen, was sie brauchen oder wollen.
Kleine Kinder entdecken gerade erst, dass sie ein "ich" sind, also ein eigenständiger Mensch und keine Einheit mit Mama oder Papa. Erstmal ist daher auch alles "meins" und das kann gerade beim, von Erwachsenen so sehr gewünschten, Teilen von Spielsachen zum Problem werden. Die Hirnentwicklung lässt es in dem Alter noch nicht zu, dass Kinder moralisch denken können und sie können daher nicht verstehen, warum sie ein geliebtes Spielzeug abgeben sollen. Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, entwickeln Kinder erst im Alter von ca. vier Jahren. Es ist daher sehr viel verlangt, dass Kinder im Alter von ein bis drei Jahren, (freiwillig) teilen. Das kann, vor allem im Kita-Alltag, natürlich zu Konflikten führen bei denen manche Kinder mit hauen, beißen oder ähnlichen "Konfliktlösungen" reagieren.
Zudem machen kleine Kinder die ersten Erfahrungen mit Ursache und Wirkung und erforschen ihre Selbstwirksamkeit. Konkret könnte das so aussehen: Ein Kind beißt -> das andere Kind weint -> es kommt ein Erwachsener angelaufen usw. Auf die eigene Aktion passiert also sehr viel Reaktion und das ist spannend. Kleine Kinder können sich aufgrund ihrer Gehirnentwicklung noch nicht in andere hineinversetzen und sich nicht vorstellen, dass man dem anderen damit Schmerzen verursacht hat.
2. Ausdruck von Emotionen
Ein weiterer Grund für Hauen, Kratzen und Beißen, ist der Ausdruck von Emotionen. Manche Kinder beißen als Kommunikationsversuch, aus Wut, aus Angst, aus dem Wunsch nach Aufmerksamkeit oder auch aus Liebe oder großer Freude. Kinder fühlen ihre Emotionen sehr intensiv und und wissen nicht wohin mit ihren plötzlich überschießenden Gefühlen und beißen dann auch mal zu. Man könnte es sich als eine Art emotionalen Blitzableiter vorstellen, bei dem das Kind das Beißen nutzt um die Heftigkeit der eigenen Gefühle ableiten und aushalten zu können.
3. Körperliche Ursachen
Kleine Kinder erforschen die Welt gerne über ihren Mund. In der oralen Phase werden alle möglichen Dinge in den Mund genommen - probieren, lutschen, beißen und knabbern sind normale Entwicklungsschritte. Auch das kann eine Ursache für Beißen sein. Kinder, die noch Zähne bekommen, können vermehrt beißen, um dem unangenehme Druckgefühl im Mund entgegenzuwirken.
4. Umgebungsbedingte Ursachen
Kleinkinder benötigen vor allem in für sie stressigen Situationen Unterstützung bei der Selbstregulation. Stressige Situationen können immer dann entstehen, wenn viele Reize auf das Kind einprasseln. Zum Beispiel in der Kita oder auf einem gut besuchten Spielplatz oder ähnlichem, da hier viele Personen auf wenig Raum zusammenkommen, jeder mit seinen eigenen Bedürfnissen. Kommt nun noch Müdigkeit, Hunger, etc. dazu, verstärkt dies das Stressempfinden. Emotionale Ausbrüche können die Folge sein. Manche Kinder werden dann laut und wütend, andere weinerlich und andere reagieren dann auch mal mit Beißen, Hauen, Kratzen.
Tipps im Umgang mit Hauen, Beißen, Kratzen
Es wird also deutlich, dass kleine Kinder sich mitten in einem Lernprozess im Umgang mit ihren eigenen Gefühlen befinden. Dieser Lernprozess braucht Zeit und Unterstützung durch verständnisvolle Bezugspersonen, die das Kind begleiten und Alternativen aufzeigen. Häufig wird Kindern für diesen Lernprozess allerdings leider viel weniger Zeit eingeräumt, als beispielsweise für das Laufen- oder Sprechenlernen. Wichtig ist, einfühlsam hinzusehen, um zu erkennen, warum ein Kind beißt oder haut. Kennt man das eigentliche Bedürfnis, kann man entsprechend reagieren.
1. Ruhe bewahren
Auch wenn es schwer fällt und leichter gesagt als getan ist, ist es wichtig, ruhig zu bleiben. Denn je mehr Reaktion und Aufmerksamkeit durch das Beißen oder Hauen erzeugt wird, desto interessanter ist es für das kindliche Gehirn und möchte daher wiederholt werden - man erreicht also genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich möchte.
2. Wenig Worte nutzen
Grundsätzlich gilt - je jünger das Kind, desto weniger Worte sollte man nutzen. Man kann das ganz individuell ans Kind anpassen, da das Sprachvermögen bei Kindern natürlich sehr unterschiedlich ist. Im Alter von 0 bis 2 Jahren ist weniger definitiv mehr, Monologe und Erklärungen sind hier unpassend. Im Alter zwischen 2 und 3 Jahren kann auch schon altersgerecht kommuniziert werden. Dabei bitte individuell aufs Kind schauen, da der eine Dreijährige schon mehr versteht als ein anderer.
3. Alternativen anbieten
Beißt (haut oder kratzt) ein Kind als eine Form der Kommunikation (weil ihm z.B. die sprachlichen Fähigkeiten dafür noch fehlen), lässt sich dieses Problem lösen, indem man feinfühlig darauf achtet, wann das Kind in Kontakt mit anderen Kindern treten möchte und man sofort an seiner Seite ist. Geht das Kind also beispielsweise auf ein anderes Kind zu, das gerade mit z.B. mit einem Auto spielt, sollte ein Elternteil oder eine Erzieherin möglichst schnell dazukommen und in der Situation sprachlich unterstützen und mit ihm gemeinsam oder stellvertretend das andere Kind ansprechen. Ein Beispiel: "Theo möchtest du mit Anna und dem Auto spielen? Pass auf, so fragt man das freundlich" - "Anna darf Theo mit dir spielen, das Auto hat eine tolle Farbe und sieht spannend aus". Das Kind lernt so, wie man angemessen Kontakt aufnimmt und gleichzeitig ist die Begleitung so nah am Kind, dass eine mögliche Verletzung des anderen verhindert werden könnte.
Beißt (haut oder kratzt) ein Kind aus Wut (weil ihm z.B. ein anderes Kind etwas wegnehmen will), kann man einerseits dem Kind beibringen, sich verbal in Form von "Nein" oder "Stopp" in Verbindung mit einem abwehrenden Handzeichen auszudrücken. Gerade in stressigen Situationen, sind allerdings die Impulse bei kleinen Kindern noch zu stark, um dies verlässlich anzuwenden. Es bringt auch wenig, das Kind vom Beißen abzuhalten, indem man erklärt, dass das anderen wehtut, da ihm, wie oben beschrieben, kognitiv noch die Fähigkeit fehlt, sich in andere hineinzuversetzen. Zielführender wäre es daher, dem Kind Alternativen zu zeigen, wie es den Impuls zu Beißen umlenken kann. Methoden könnten z.B. sein in einen Boxsack boxen, in ein Kissen schreien / hauen, fest aufstampfen, eine Runde rennen, tief Luft holen o.ä. Je jünger das Kind ist, desto länger und mehr Wiederholungen braucht es, bis die Alternativen angenommen werden. Impulsive Handlungen (Hauen, Beißen, Kratzen) sind im Gehirn von Anfang an angelegt - Alternativen müssen mühsam erlernt werden und das dauert seine Zeit.
Beißt (haut oder kratzt) das Kind aus Liebe, sollte zwar so ruhig und ernst (aber nicht vorwurfsvoll) wie möglich klargestellt werden, dass das Kind das lassen soll, gleichzeitig aber auch wieder eine Alternative angeboten werden. Zum Beispiel eine feste Umarmung, die ebenfalls dabei hilft die übersprudelnden Emotionen körperlich abzuleiten. Um sich selbst zu schützen, kann das Kind beim Kuscheln so gehalten werden, dass es nicht beißen kann oder eine Beißalternative (Beißring, Stofftier o.ä.) bereitgehalten werden. Insgesamt gilt auch hier - je weniger Aufmerksamkeit dem Beißen geschenkt wird, desto schneller hört das unangemessene Verhalten wieder auf, weil auf die Ursache keine Wirkung folgt.
4. Nicht das Kind beißen / hauen / kratzen
Es sollte selbstverständlich sein, dass man als Reaktion nicht das Kind ebenfalls beißt, haut oder kratzt. Manche Eltern sehen das aber als letzten Ausweg, damit das Kind lernt, dass das wehtut. Das wird allerdings nicht passieren, im Gegenteil. Das Kind ist erschrocken und enttäuscht, wenn es von einer Bezugsperson Schmerzen erfährt. Da es sich nicht in andere hineinversetzen kann, wird es trotzdem nicht verstehen, dass es anderen wehtut, wenn man beißt. Zudem wird es daraus lernen, dass Beißen o.ä. scheinbar angemessene und akzeptierte Verhaltensweisen sind. Eltern sollten positive Vorbilder sein!
5. Ruhepausen und Erholungsphasen einbauen
Das gilt nicht nur für Situationen, in denen das Kind aggressives Verhalten gezeigt hat. Gezielte reizarme Entspannungszeiten helfen dabei, das Stresslevel zu senken, sich selbst besser wahrzunehmen und so auch mit den eigenen Gefühlen besser umgehen zu können. Zum Beispiel benötigen viele Kinder nach einem für sie anstrengenden Kita-Tag erstmal eine Ruhepause und Zeit mit den Bezugspersonen. Zu viele, zu eng getaktete, Aktivitäten können sowohl bei Babys als auch bei Kleinkindern zu Überreizung führen und diese kann wiederum impulsiven Reaktionen (hauen, beißen, kratzen, etc.) begünstigen.
6. Bedürfnisse formulieren
Je besser das Kind weiß und ausdrücken kann, was es gerade braucht oder (nicht) möchte, desto weniger wird es auf alternative Handlungen (hauen, beißen, kratzen) zurückgreifen. Das muss geübt werden - sowohl in Stress- als auch in Alltagssituationen.
7. Hilfe holen
Ist man mit der Situation überfordert oder gerät an seine persönlichen Grenzen im Umgang damit, ist das keine Schande und man sollte sich keinesfalls davor scheuen, sich Hilfe zu holen. Sei es über eine Erziehungsberatungsstelle, die KoKi, den Allgemeinen Sozialdienst oder andere in der Regel kostenfreie Beratungsstellen.
Quellen:
Graf, D. / Seide, K. (2016), Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn - Der entspannte Weg durch Trotzphasen
Deine Familienbande - Hauen, Kratzen, Beißen: 5 Tipps für einen liebevollen Umgang
Mein Kind kratzt und beißt mich - Pädagogische Fragen | Wichtel Akademie München